Bücher, Bildung, WandelMut

Aus der Werkstatt

veröffentlicht: 15.04.2016 · Franziska Köppe | madiko

Buch auf Holzschreibtisch, Sicht von Oben

Schon sehr früh entdeckte ich meine Begeisterung für Bücher. Während ich zunächst unruhig auf dem Stuhl rutschend oder eingekuschelt auf dem Schoß meiner Großeltern den Worten lauschte, war ich überglücklich, mit sechs Jahren dann endlich lesen zu lernen. Unvergessen die Zeiten als ich unter der Bettdecke noch bis spät in die Nacht las. Druckwerke sind fester Bestandteil meines Lebens. Um so überraschender jetzt diese Liebesbeziehung zu reflektieren und dabei zu erkennen, wie stark sich mein Verhältnis zu ihnen im Verlauf meines Lebens bereits veränderte. Eine Zeitreise mit Ein- und Ausblick.

Wetten statt Planen. new&able thinktalk mit Dagmar Woyde-Koehler und Gebhard Borck. Buch auf Holzschreibtisch
[ 2016-04 madiko ]

1976

Ich sitze auf dem Schoß meines Großvaters. Andächtig blättern wir in der großen “Busch-Ausgabe”. Da ist sie! Meine Lieblingsgeschichte: “Max & Moritz”. Mein Opi liest wunderbar. Was für ein Spaß! Noch mal. Noch mal. Noch mal. (Heute bewundere ich ihn für seine Geduld.)

Später sitzt meine Großmutter an meinem Bett. Mir fallen zwar schon die Augen zu, doch sie muss weiterlesen. Räubergeschichten, Seemannsgarn, Märchen, Sagen, Gedichte – die Welt der Bücher ist fantastisch und regt meine Phantasie an. Ich kann einfach nicht genug davon bekommen.

"Der Kinder-Wundergarten" (Märchenbuch meiner Großmutter) – aufgeschlagen bei "Vom tapferen Schneiderlein"
[ 2021-08 Franziska Köppe | madiko ]

1981

Endlich! Endlich (offiziell) lesen lernen. In meinen ersten Lebensjahren verliebe ich mich in Bücher. Ehrfürchtig schreite ich die schier endlosen Bücherregale meiner Großeltern und Eltern ab. Nur wenn ich die eingehende Qualitätsprüfung sorgfältig gewaschener Hände (keine Schokolade mehr dran?) bestehe, darf ich die Wälzer aus dem Regal nehmen.

Ich setze mich direkt vors Bücherbord und bestaunte Bilder, Buchstaben und Zahlen. Ich atme den Duft von altem oder auch neuem Papier. Ich finde Spaß daran, die rauen wie die glatten Papiere unterscheiden zu können. Wie dick ist es? Wie elastisch oder porös? Ist der Einband aus Leder, Stoff, Pappe? Ist die Bindung genäht, geklebt, mit Fadenheftung? Wurde das Papier am Rand bemalt, vergoldet oder ist sonst wie farbig?

Gierig verschlinge ich einen Wälzer nach dem anderen. Lese alte Klassiker. Blättere wissensdurstig durch die Brockhaus-Sammlung und andere Lexika zu Musik, Physik, Architektur, Sprachen — was das Regal so hergibt. Quäle mich auch durch das ein oder andere sozialistische “Bildungswerk”. Vor allem aber mag ich Romane, Erzählungen, Belletristik. Kopfkino!

Alles ist faszinierend. Doch wehe, wehe ich hinterlasse ein Eselsohr!

Franziska lesend (Sommer 1983, 8 Jahre). Bild: copy Franziska Köppe | madiko

Franziska lesend (Sommer 1983, 8 Jahre)
[ 2021-08 Franziska Köppe | madiko ]

1989

Mittlerweile kenne ich Bücher nicht mehr nur aus dem Regal der Familie. Da gibt es Bibliotheken mit hunderten von Druckwerken. Wahnsinn! Wer soll das alles lesen?! Ich fange an, Bücher mit Freunden zu tauschen. Meine Lieblingsbücher sind schon ganz abgegriffen und fallen teils auseinander, so oft las ich sie.

Noch mehr liebe ich Antiquariate mit ihren alten Schwarten. Obwohl ich kaum je eine kaufe, muss ich zu meiner Schande gestehen. Oder auch die Buchgeschäfte mit den zahlreichen Neuauflagen von Belletristik bis Reiseführer. Diese Läden verlasse ich nie ohne zehn oder zwanzig Bücher unterm Arm. Das großzügige Taschengeld von meinen Großeltern, die mir dabei belustigt zuschauen und auch weiterhin den ein oder anderen Lesetipp weitergeben, macht es möglich.

Schullektuere: Goethe & Schiller. Bild: cc Franziska Köppe | madiko

Schullektuere: Goethe & Schiller
[ 2021-08 Franziska Köppe | madiko ]

1993

Eiserne, von Kindesbeinen an verinnerlichte Regel: In Bücher schreibt man nichts rein. Behandle sie sorgfältig. Sie sind wertvoll.

Das sagten meine Großeltern so viele Male, dass es sich tief in mir einprägte. Also kopiere ich reihenweise Fachbücher. Ich fange an, Textpassagen farbig anzustreichen. Ab und an bin ich so mutig, Fragen zum Text zu formulieren. Zaghaft noch ergänze ich in Vorlesungen und unseren Arbeitsgruppen erarbeitetes Wissen als Randnotizen.

Parallel dazu baue ich eine eigene Bibliothek an Fach- und Sachbüchern rund um Allgemeinbildung auf. Meine Großeltern, die die Leselust einst in mir weckten, unterstützen mich auch weiterhin vor allem finanziell dabei.

Belesen sein, Wissen miteinander verknüpfen und es schließlich anwenden zu können folgt nicht nur meiner Wissbegier. Ich mag es, tiefgreifende Gespräche mit anderen zu führen. Lesen hilft mir, verschiedene Sichtweisen kennenzulernen. Autodidaktisch gibt es mir die nötige Zeit, das Gelesene hinterfragen und mir zu eigen machen zu können.

2000

Bücher intensiv studieren. Bücher querlesen. Bücher genüsslich verdauen. Bücher wälzen. Bücher nicht zu Ende auslesen. Drei Bücher parallel lesen. Den ersten und den letzten Satz eines Buches erfassen, bevor ich mich dem Klappentext zuwende. Ganze Bücher in vierundzwanzig Stunden verschlingen. Kurzum: Ich bin mitten im Bücheruniversum angekommen.

Das Studium ist abgeschlossen. Befreit von irgendwelchen Klausuren kann ich Printmedien wieder mit viel Eigenmotivation und aus Neugier in die Hand nehmen. Sie verteilen sich in meiner Wohnung vom Arbeitszimmer, über gute Stube, der Küche, dem Klo bis zum Platz direkt neben dem Kopfkissen.

Ich habe aufgehört, sie zu zählen. In Zeiten der digitalen Transformation bleiben mir gedruckte Bücher weiterhin wertvoll. Sie in der Hand zu halten wirkt in vielerlei Hinsicht beruhigend auf mich. Ich kann sie ganz anders begreifen. Doch miste ich regelmäßig aus und bin wählerischer beim Kauf geworden. Verschenke Ausgelesenes an Menschen, die sich dafür interessieren. Oder stelle sie in die Tausch-Regale der Wilden Bücher, die ausgesetzt werden um neue Leser zu finden.

Lese Lieblingsbücher nun schon zum zehnten Mal (und entdecke immer wieder Neues). Leihe und verleihe weiterhin Bücher. Lasse mich vom Buchregal von Freunden und Geschäftspartnern inspirieren. Schleppe regelmäßig eine Auswahl zu Veranstaltungen wie beispielsweise dem EnjoyWorkCamp.

Büchertisch mit den Fachbüchern und Sachbüchern, Spielen und Ratgebern der EnjoyWork-Community plus Literatur rund um Lebens- und Arbeitswelten mit Zukunft zur Inspiration.. Bild: cc Durandi / madiko

EnjoyWork LeseLust – Präsenz-Bibliothek im Rahmen des EnjoyWorkCamps 2017
[ 2017-11 Durandi / madiko ]

2016

Seit 2012 blogge ich. Von daher war es vielleicht nur eine Frage der Zeit. Und doch ist es mir ein ganz großes Ding: Ich gestalte Bücher selbst! Wow! Ich meine nicht die unzähligen Publikationen, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Marketing-Managerin oder während meiner Freiberuflichkeit schon verfasste. Auch nicht den ein oder anderen Beitrag, den ich zu einem Buch beitrug.

Ich erlebe eine ganz neue Qualität im Umgang mit Büchern: Nicht nur, dass mir Autoren erlauben, ihre Texte zu setzen – ich illustriere und hinterfrage ihre Aussagen. Mir ihrer Erlaubnis. Gewünscht. Für den Druck (nicht erst danach). Ein Mehrwert für den Nutzer. Leser sollen nicht mehr Konsumenten des geschriebenen Wortes bleiben. Wir ziehen sie hinein ins draufrumdenken. Wir wecken ihren Widerstand. Wir konfrontieren unsere Ideen mit Ihrer Wirklichkeit.

So mischt sich heute in mir unbändige Freude, Stolz, Gelassenheit mit Nervosität, Lampenfieber und … irgendwas undefinierbares, schmetterlingshaftes Aufregendes, wenn ich die Publikation des ersten dieser Gemeinschaftswerke verkünden kann:

wetten statt planen. new&able thinktalk mit Dagmar Woyde-Koehler & Gebhard Borck via EnjoyWork LeseLust
Wetten statt Planen

Eine gute unternehmerische Wette bedeutet, strukturiert über Geschäftsmodelle nachzudenken und ein dynamisches Feedback-System zu etablieren, dass es allen Beteiligten ermöglicht, sinngekoppelt zu leben und zu arbeiten. Das Buch basiert auf dem Mitschnitt eines lebhaften Abends bei new&able. Wir eröffnen Lesern verschiedene Blickwinkel auf Strategie-Entwicklung und Planung in Unternehmen. Dabei geht es vor allem um den Unterschied zwischen “Zukunft vorwegnehmender Planung” und “Zukunft offen belassender Wette”. Und um neue, intelligente, praxis-erprobte Vorgehensweisen im Umgang mit Zukunft.

zur EnjoyWork LeseLust

Ich beschäftige mich also noch einmal neu mit Typo – typographischer Ästhetik des Humanismus, um genau zu sein. Farbe, Laufweite, Ausrichtung, Lesbarkeit, Auszeichnungen, Rhythmus und Grauwert eines Schriftbildes – eine ganz neue Welt der Bücher öffnet sich für mich.

Ich feile am Text bis er ohne vereinzeltes Wort am Absatzende steht. Keine Zeile soll verlassen von anderem Text auf einer Seite bleiben. Wie ziehe ich den Leser von einem Kapitel ins nächste? Ich ergänze Randnotizen. Das Ganze kombiniere ich mit der neu entdeckten Leidenschaft für Sketchnotes, zitatinte, Comic-Zeichnen und meinem kritischen Geist. Ich bin sehr neugierig, was mit dieser Erfahrung neues wächst und meine Beziehung zu Büchern verändert.

Und ich bin gespannt, ob Leser diese Freude und Begeisterung, mit der wir uns an unser Buch wagten, spüren. Ob sich diese Energie überträgt, die uns dabei erfüllte.

Neugierig geworden auf unser Buch?

Hier das Ergebnis eines wunderbaren, intensiven wie inspirierenden Austausches mit den Autoren:

Unsere Leseprobe bringt hoffentlich die gewünschte Klarheit und läd ein, das Buch zu bestellen.

Ich danke Dagmar und Gebhard von Herzen. Gemeinsam mit ihnen freue ich mich nun auf die Fortsetzung der spannenden Gespräche mit Euch, unseren Lesern.

Bleib neugierig,

Update 20. August 2021: Die letzten Tage kramte ich tief in Erinnerungen und notierte sämtliche Schullektüre, an die ich mich erinnere. Das könnte Dich auch interessieren ;-)

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